„Willst du dir Kansas City ansehen?“ Mit diesen Worten weckt mich Tomas auf. Naja, kann ich ja mal machen, andererseits hätte er mich deswegen nicht extra wecken müssen. Hat er auch nicht - der wirkliche Grund, mich aufzuwecken war, dass der Ballastverbrauch dramatisch angestiegen war, und es inzwischen fraglich ist, ob es durch die Nacht reicht.
Wir diskutieren die möglichen Ursachen. Abkühlung des Traggases? Wurde nicht immer behauptet, mit diesem neuen Stoff würde sich das Traggas tagsüber durch die Sonneneinstrahlung nicht mehr so aufheizen? Und wenn es die Abkühlung ist - dann muss der Verbrauch irgendwann aufhören. Tat er aber nicht. Ist der Ballon undicht? Eine Beschädigung kann es nicht sein, wir sind seit zwei Tagen in der Luft - und dann wäre er die ganze Zeit undicht gewesen. Aber vielleicht doch? Vor Jahren wurde auf den Ballon des holländischen Teams geschossen - ist uns das auch passiert? - Tomas meinte, er hätte vorher einen Schuss gehört. Oder ist etwas mit dem Parachute-Ventil? Der Startcheck hatte nichts ungewöhnliches ergeben, ausser dass er sich gefühlsmäßig leichter ziehen läßt. Ich entschließe mich, ihn doch einmal zu testen. Ganz vorsichtig ziehe ich die Parachuteleine - schon nach einem Zug von knapp zwei Zentimetern strömt oben Gas mit lautem Zischen aus. Das ist nicht normal. Was jetzt tun? Steigen, um durch den dann wieder prall werdenden Ballon den Anpressdruck des Parachutes zu steigen, und ihn so vielleicht wieder dicht zu bekommen? Was ist aber dann beim Abstieg? Würde er dann noch undichter werden, und wir den Abstieg nicht mehr kontrollieren können? Nachdem klar ist, dass wir den Morgen bei dem stetig ansteigenden Ballastverbrauch nicht mehr erreichen können, entschließten wir uns zur Landung.
Kurz diskutieren wir die Möglichkeiten: In beleuchtetes und aber auch bebautes Gebiet zu landen, versuchen einen Flugplatz anzusteuern, oder einfach in die stockdunkle Pampa zu landen. Wir entscheiden uns für letzeres.
Wir werden in den nächsten fünf Minuten landen. Wenn wir uns nicht innerhalb von 15 Minuten wieder bei euch melden, dann leitet alle notwendigen Schritte ein. Tomas Telefonat mit dem Command Center des Gordon-Bennett-Rennens in Albuquerque ist kurz und knapp - es gibt im Augenblick auch nicht mehr zu sagen, alle Beteiligten wissen um die Risiken einer Nachtlandung.
Es ist kurz vor halb zwei Uhr morgens - Lokalzeit. Die Nacht ist sternklar, aber die schmale Sichel des zunehmenden Mondes kurz nach Neumond ist bereits untergegangen. Ausserhalb der beleuchteten Ortschaften ist es stockdunkel. Wir sind inzwischen über der Stadt Warrenburg in Missouri auf 100m über Grund gesunken, und noch immer knapp 40 km/h schnell.
Wir zischen tief über Warrenburg hinweg. Solange wir den Wettbewerb im Auge hatten, haben wir uns über das Tempo gefreut. Jetzt wäre es uns langsamer lieber. Am Ortsrand von Warrenburg verläuft eine Hochspannungsleitung, wir hoffen das dahinter nicht gleich eine zweite kommt. Nachdem wir die Leitung überfahren haben, ziehe ich den Parachute, bis wir mit 3m/s sinken. Das Schlepptau liegt auf. Sehen können wir es nicht, denn es ist stockdunkle, mondlose Nacht. Aber Tomas hat die Hand am Schlepptau, und spürt das typische Rucken, wenn es über den Boden schleift. Noch etwa 50m bis zur Erde, und wir sinken mit knapp drei Metern – in 20 Sekunden werden wir aufsetzen – und noch sehen wir nur schwarze Nacht.
Zwei Sekunden vor dem Aufsetzen, kommt etwas Struktur in das Schwarz - der Erdboden. Da setzen wir auch schon auf, ziehen den Parachute zur Entleerung voll durch - der Korb macht noch einen kurzen Satz und bleibt dann stehen - alles gut gegangen - alles heil geblieben - erleichtert schütteln wir uns die Hände, gratulieren uns zur glücklichen Niederkunft.
Im Licht unserer Stirnlampen stellen wir fest, dass wir in einem Bohnenfeld gelandet sind. Unsere Verfolger Pavla und Petra sind inzwischen ganz in der Nähe, und so macht sich Tomas auf den Weg. Sein Versuch aus dem Bohnenfeld herauszufinden scheitert mehrfach - hoher Stacheldraht, Bach - so dass er sich entschließt Markus in Deutschland anzurufen - du hast doch unsere Position, kannst du in Google Earth nachsehen, wie ich hier rauskommen. Kann er und Tomas findet zur Straße und unsere Verfolger. Sie funken mich an, ich solle jetzt auch kommen, und wir würden uns ein Hotel suchen. Ich jedoch hatte inzwischen das Bett in unserem Korb wieder aufgebaut und lag bereits - mit dem tollen Sternenhimmel über mir. So verneinte ich den Bedarf nach einem Hotelzimmer, und meinte für die zwei Stunden bis Sonnenaufgang würde sich das auch nicht mehr lohnen.
Unsere dritte Teilnahme am Gordon-Bennett-Rennen hatten wir lange vorbereitet, an Ausrüstung und Know How gefeilt. Den Ballon hat uns unser finnischer Freund Ben Mattson geliehen, es ist der erste Gasballon in der Geschichte Finnlands. Es ist erst seine zweite Fahrt, die Jungfernfahrt hatte er vier Wochen vorher ab Stuttgart absolviert.
Der Ballon ist aus einem neuen Stoff, und er ist der dritte Ballon aus diesem Stoff. Dieser Ballon stellt die elektrische Leitfähigkeit nicht mehr mit einer Graphitschicht auf der Innenseite der Hülle her, sondern neue Techniken ermöglichten die Leitfähigkeit mit einer Transparenten Schicht herzustellen. Vorteil: Der Ballon heizt sich durch die Sonne tagsüber nicht mehr so stark auf, und kühlt daher nachts auch nicht mehr so ab – und verbraucht daher weniger Ballast.
Unser Team bestand aus Tomas Hora und Volker Löschhorn im Korb, Petra Oberzig und Pavla Popovich im von Mercedes-Benz zur Verfügung gestellten Verfolgerfahrzeug. Vor Ort in Albuquerque unterstützen uns Jan Diller, Anneliese Lelonek, Jürgen Oberzig, Patricia und Marc Gerhardt. Für uns am PC als Wetterman wieder Dominik Haggeney.
Für das Abenteuer 52. Gordon-Bennett-Rennen gut gerüstet, fiebern wir dem Start entgegen. Doch der läßt auf sich warten – ungünstiges Wetter verhindert den geplanten Start am Samstagabend, und auch der Sonnag wird keinen Gasballon sehen. Montags geht es endlich los, jedoch sind sehr schwache Winde vorhergesagt - Stehparty um Albuquerque. Wir fahren erst nach Süden, und dann wieder nach Norden. Beim Erreichen der Berge steigen wir auf, um die westlichen Winde zu nutzen, um durch den Korridor zwischen den Santa Fe-Bergen und dem Sandia-Gebirge zu kommen. Das klappt auch ganz gut, während der Großteil der Ballone sich über die hohen Berge kämpft.
Ein Husarenstück gelingt uns, indem wir den Night Low Level Jetstream der Great Plains nutzen, um uns vom Feld abzusetzen. Der Night Low Level Jetstream ist ein Effekt im Bereich der nächtlichen Inversion, der auch zuerst in den Great Plains bemerkt und untersucht wurde. Er hilft uns einen Vorsprung von fünfhundert Kilometern auf die anderen Teams herauszufahren. So fahren wir mit viel Optimismus in die dritte Nacht - bei dieser Ausgangslage müssten wir uns doch ganz vorne platzieren können! Bis die technischen Probleme unseres Ballons alle Hoffnungen zunichte machten.
Aber nach dem Spiel ist vor dem Spiel, und das Gordon-Bennett-Rennen 2008 war sicher nicht unser letztes. Jetzt gilt es erst einmal mit dem Hersteller zu klären, wie es passieren konnte, das der Parachute undicht wurde.
Autor: Volker Löschhorn